Mehr und mehr Tretroller-Begeisterte nützen den Roller auch abseits befestigter Straßen. Wo Microscooter mit den kleinen Rädern stecken bleiben, geht es mit den Großradrollern erst so richtig los. Tretrollern inmitten ruhiger Natur wird noch schöner erlebt als mit dem Fahrrad, da beim Roller kein Freilauf knattert und keine Kette quietscht. Während bei Fahrrädern Federgabeln beinahe Standard sind, findet man nur wenige Tretroller mit Federgabel. Warum ist das so? Welche Federgabeln eignen sich für den nachträglichen Einbau?
Wozu eine Federung?
Klarer Fall! Ein gefedertes Fahrzeug ist komfortabel. Tja, das ist eine Begleiterscheinung, doch liegt die Notwendigkeit einer Federung ganz wo anders. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die Physik, genauer gesagt auf die Mechanik und Fahrdynamik. Die Aufgabe einer Federung ist es, den Bodenkontakt zwischen Fahrzeug und Untergrund zu gewährleisten. Der Bodenkontakt ist wichtig, um das Fahrzeug zu lenken und zu bremsen.
Gefederte und ungefederte Massen
In den Anfängen der Kutschenfahrt waren die Räder ungefedert. War die Kutsche zu schnell auf unebenem Boden unterwegs, kam es schnell zum Radbruch. Angenommen der Untergrund war in einer Art wellig, dass das Rad links vorne und das Rad rechts hinten in der Luft hing. Dann trugen die Räder rechts vorne und links hinten die gesamten 800 Kilogramm der beladenen Kutsche. Statisch gesehen trug dann das Rad rechts vorne 400 Kilogramm oder rund 4.000 Newton Gewichtskraft. Nun kam eine querliegende Wurzel und das Rad musste drüber. Für kurz gab es eine stark überhöhte Kraft von 12.000 Newton. Dies war zu viel für das Rad und es brach.
Ganz anders verhielt es sich später bei gefederten Kutschen. Am welligen Untergrund waren alle vier Räder mit Bodenkontakt und die querliegende Wurzel hatte nur die Masse des rechten Vorderrads mit Teilen der Radaufhängung zu bewegen. Die auftretenden Kräfte waren erheblich kleiner, vielleicht insgesamt nur 3.000 Newton. Das Rad hielt. Und nebenbei war die Kutsche auch gut zu lenken, da alle Räder den Boden berührten.
Je kleiner die ungefederten Massen sind, desto besser ist dies für das Fahrverhalten. Zu den ungefederten Massen zählen Räder, Reifen, Bremsen und Teile der Radaufhängung. Somit ist klar, warum bei Automobilen Leichtmetallräder und Niederquerschnittreifen verwendet werden. Alu ist leichter als Stahl und weniger Gummi ist ebenfalls ein Gewichtsvorteil.
Federung und Dämpfung
Bevor es konkret um den Tretroller geht, darf nicht auf den Aspekt der Dämpfung vergessen werden. Eine Feder schwingt sozusagen ewig nach, wenn sie nicht gedämpft ist. Bei Fahrzeugen ist das unerwünscht. Einmal fährst du mit dem Roller über einen Randstein und schon schwingt er eine Stunde auf und ab. Damit dies nicht erfolgt, gibt es eine Dämpfung, meist mittels Öldämpfer. Die Dämpfung bremst sozusagen das Weiterfedern, während die Federungsfunktion erhalten bleibt. Ein Zuviel an Dämpfung kann genauso schlecht sein wie ein Zuwenig.
Federung und Dämpfung am Tretroller
Anders als beim Fahrrad erfolgt ein Großteil von Federung und Dämpfung im biomechanischen Teil. Das heißt schlicht, dass die Fahrerin oder der Fahrer diese wichtigen Aufgaben automatisch und ganz natürlich übernimmt. Wir stehen nicht starr am Trittbrett. Füße, Beine, Rücken, Hände, Beine, Nacken sind unentwegt perfekt mit Federn und Dämpfen beschäftigt. Bei einem starren Tretroller erfolgt immer noch ein Teil der Federung und Dämpfung in den Reifen und im Rahmen.
Hier zeigt sich deutlich, dass das Tretrollern dem Laufen ähnlicher ist als dem Radfahren. Beim Laufen durch den Wald sind die ungefederten Massen die Schuhsohlen. Vom Fußgelenk aufwärts wird immer mehr gefedert und gedämpft. Nicht anders ist es am Tretroller, wo die Schuhsohle sozusagen der gesamte Tretroller ist mit federnden und dämpfenden Reifen und Rahmen.
Wann benötigt ein Tretroller eine Federgabel?
Je schneller man unterwegs ist und je schroffer der Untergrund, desto eher wird eine Federgabel erforderlich. Tatsächlich erreicht man so hohe Geschwindigkeiten selten, beispielsweise beim rasanten Downhill und im Zughundesport (Dog-Scooting). Die Überlegung ist eine einfache: löst sich ohne Federgabel der Bodenkontakt des Vorderrads und wäre es ohne Federgabel nicht so? Übliche Feldwege kann man völlig gefahrlos mit 20 oder 25 km/h noch ohne Federgabel fahren.
Trotzdem fühlt es sich mit einer Federgabel viel besser und ruhiger an. Ja, unbestritten. Den Fahrkomfort kann man durch geeignete Reifen und geringen Reifendruck auch ohne Federgabel erzielen. Ergo-Handgriffe nehmen außerdem den Druck von den Handflächen und so wird man auf Feldwegen auch mit Starrgabel nicht durchgerüttelt.
Warum der Umstieg auf eine Federgabel gut überlegt werden muss
Bei höheren Geschwindigkeiten oder auch sehr schwerem Gelände sind Federgabeln unbedingt zu verwenden, aus Sicherheits- und Komfortgründen. Nun könnte man argumentieren, dass man ab und zu im schweren Gelände unterwegs ist und den Komfort einer Federgabel auch im Alltag schätzt. Das ist so ähnlich als würde man das ganze Jahr alle Autofahrten mit dem Wohnmobil machen, da man einmal im Jahr damit auf Reisen fährt.
Drei Nachteile haben alle Federgabeln gegenüber Starrgabel!
Alle drei Nachteile bewirken einen größeren Kraftaufwand und damit weniger Effizienz. Bei gleichem Energieaufwand ist man langsamer oder man benötigt bei derselben Geschwindigkeit mehr Power. Die drei Nachteile sind: 1. Mehrgewicht, 2. Energieverlust durch Wippen, 3. höheres Trittbrett.
Das Mehrgewicht
Es gibt zwar Vollcarbonfedergabeln, die leichter sind als Starrgabeln aus Stahl, doch kann man generell sagen, dass eine Federgabel zwischen 0,6 und 2,0 kg mehr wiegt als eine Starrgabel gleicher Größe. Lächerlich? Auf den ersten Blick vielleicht. Es ist von der Anstrengung her nicht dasselbe, ob ich 1 kg Mehrgewicht am Bauch habe oder am Roller. Ein zusätzliches Kilo am Roller fühlt sich an wie 3 bis 5 kg mehr am Körper. Der Grund ist die unstetige Bewegung des Rollers. Ständig wird der Roller beschleunigt und abgebremst, bei einem jeden Kick. Während ein Fahrrad eine stetige Vorwärtsbewegung macht, macht der Tretroller eine unstetige Vorwärtsbewegung. Daher zählt nicht nur im Spitzensport jedes Gramm. Richtig deutlich wird es beim Bergauf-Fahren, aber auch beim Bergauf-Schieben.
Energieverlust durch Wippen
Das Treten bringt es mit sich, dass am Trittbrett rhythmisch die Belastung schwankt. Bei einem Körpergewicht von beispielsweise 80 Kilo, also 800 Newton Gewichtskraft, gibt es Schwankungen zwischen 200 und 1.400 Newton. Diese Schwankungen der Kräfte werden in die Federgabel geleitet, sodass die Gabel während einer ruhigen Geradeausfahrt auf- und abwippt. Dies ist nicht nur ein wenig irritierend im Lenkverhalten, sondern vor allem wird Energie in Reibungsenergie umgewandelt und damit in Wärme. Das Öl im Dämpfer wird also von einem Teil der menschlichen Körperarbeit erwärmt und die Wärme geht nutzlos an die Umgebungsluft. Ohne Federgabel stünde dieser Teil der Energie dem Vortrieb zur Verfügung. Einfach gesagt: man wäre schneller unterwegs.
Absolut empfehlenswert sind daher Federgabeln, die man sperren kann, sodass dieses Wippen am Asphalt oder auf harmlosen Feldwegen verhindert wird.
Höheres Trittbrett
Eine Federgabel muss länger sein als eine Starrgabel, da im eingefederten Zustand das Trittbrett immer noch eine bestimmte Mindesthöhe haben muss, um nicht damit vorzeitig aufzusitzen. Die Wahl der richtigen Trittbretthöhe und damit der Mindestbodenfreiheit ist ein eigenes Thema, auf das an dieser Stelle nicht eingegangen wird. Faktum ist jedoch, dass man abseits der Straßen mehr Bodenfreiheit benötigt und wenn man im eingefederten Zustand diese Bodenfreiheit noch haben will, wird das Trittbrett im ausgefederten Zustand extrem hoch sein.
Durch die statische Belastung federt die Gabel ein wenig ein. Dennoch wird das Trittbrett höher sein als bei einem Roller mit Starrgabel. Je höher das Trittbrett, desto größer wird der Kraftaufwand beim Treten, da man beim Treten tiefer hinuntersteigen muss und damit die Muskeln des Standbeins erheblich mehr fordert. Die Muskeln ermüden schneller beziehungsweise bekommt man nicht richtig die Kraft auf die Straße.
Nahezu alle zu sperrenden Federgabeln sperren im ausgefederten Zustand. Bei einem Fahrrad ist dies sogar ein Vorteil, da die Bodenfreiheit zunimmt. Bei einem Roller ist das ein Nachteil, da das Treten erschwert wird.
Welche Federgabel ist die geeignetste?
Sobald der Tretroller auch zum Treten verwendet wird, sollte betreffend Federweg der Grundsatz gelten „Weniger ist Mehr“.
- Ein Federweg zwischen 80mm und 100mm erweist sich als optimal.
- Für reine Downhill-Roller sind 150mm bis 200mm die richtige Wahl.
Abgesehen vom reinen Downhill-Roller sollte die Gabel immer auch eine Sperre haben. Der Lock-Out-Hebel sollte am Lenker angebracht sein, sodass man während der Fahrt bequem und sicher sperren und entsperren kann. Die Federrate (das ist die Steifigkeit der Feder) und die Stärke der Dämpfung müssen getrennt voneinander einstellbar sein. Nicht zuletzt ist auch das geringe Gewicht ein Kriterium.
Eigentlich sollten nur Luftfedergabeln Verwendung finden. Diese haben immer ein progressives Federungsverhalten. Das bedeutet, dass die Federkraft mit dem Quadrat des Federwegs zunimmt. Je mehr eingefedert wird, desto wesentlich größer wird die Federkraft. So reagiert die Feder extrem sensibel bei kleinen Unebenheiten, schluckt also alles locker weg, zugleich aber erreicht man nie den Endanschlag, da die Feder mit jedem Millimeter härter und härter wird.
Für den Downhillbereich sind Upside-Down-Gabeln zu empfehlen. Wenn diese eine Doppelgabel haben, erzielt man mehr Federweg bei gleicher Baulänge und hat zudem noch geringere ungefederte Massen.
Was man bei alledem auch nie vergessen darf ist der Preis. Wohl ist dies auch einer der Gründe, warum kein Hersteller Tretroller mit wirklich guten Federgabeln anbietet. Der Verkaufspreis würde einfach zu sehr abschrecken.
Fazit
Die Anschaffung einer Federgabel will wohlüberlegt sein. Die allerwichtigste Frage ist einmal Starrgabel oder Federgabel. Tatsächlich hat man in den meisten Fällen deutlich mehr Vorteile mit einer Starrgabel. Wenn die Entscheidung für eine Federgabel gefallen ist, sind bei der Auswahl des Modells die spezifischen Anforderungen eines Tretrollers zu bedenken, also Federweg, Lock-Out und Gewicht. Die Einstellungen von Federrate und Dämpfungsgrad sind sehr individuell und abhängig von der Rollergeometrie, dem Fahrer (Gewicht und Trittdynamik) und dem zu befahrenden Terrain. Die Herstellerangaben sind nicht zu verwenden, da die Dynamik bei Fahrrädern eine ganz andere ist als bei Tretrollern.
Guido Pfeiffermann ist im Tretrollersport kein Unbekannter. Gemeinsam mit David Pasek steht er dem Tretschlitten und Tretroller Verband Österreich (TTVÖ) vor.
Guido setzt sich seit vielen Jahren für die Verbreitung des Tretrollers ein. In der Szene weniger bekannt ist, dass er auch so etwas wie der „Chef-Theoretiker“ in technischen Belangen ist. Guido unterrichtet an einer Höheren Technischen Lehranstalt maschinenbauliche Gegenstände und bildet die Ingenieure von Morgen aus. Mittlerweile betreute er sechs Diplomarbeiten zum Thema Tretroller.